Belohnungen – mehr als nur Futter! (Für Merlin.)

Heute Früh sind Phoebe und ich auf der Grafenwiese im Prater Merlin und seinen Menschen begegnet. Merlin ist ein griechischer Straßenhund, zweieinhalb Jahre alt und erst seit einem halben Jahr bei seinen Menschen. Er sieht aus wie ein Nova Scotia Duck Tolling Retriever (als Kind, als ich Stunden vor der Hunde-Enzyklopädie verbracht hab und bald alle Rassen und auswendig kannte, bin ich immer bei diesem kanadischen Toller hängengeblieben und hab sein rotblondes Fell mit den weißen Abzeichen und den lustigen Namen bewundert). Ich hab mich ein bisschen mit Merlins Menschen unterhalten, über Merlin und Phoebe. Merlin hat in dem halben Jahr, das er bei ihnen wohnt, Riesenfortschritte gemacht. Ein Problem ist allerdings das Kommen: obwohl er nicht abhaut und in der Nähe seiner Menschen bleibt, kommt er beim Spazierengehen nicht gern auf Zuruf zu ihnen. Und Leckerlis interessieren Merlin nicht, wenn die drei draußen unterwegs sind.

Es gibt natürlich viele Arten, einen verlässlichen Rückruf zu trainieren, und ebensoviele Gründe, aus denen ein Hund sich damit schwer tut. Aber dazu in anderen Beiträgen. Heute soll es um eine konkrete Idee für Merlin und andere wie ihn gehen, deren Menschen ein bisschen ratlos sind, weil sie ihren vierbeinigen Freund belohnen wollen, aber nicht wissen, wie, wenn er in bestimmten Situationen die übrlichen Leckerlis verweigert. 

Belohnen können wir auf verschiedenste Art und Weise. Futter und verbales Lob sind die gängigsten Belohnungen – aber es gibt noch VIEL mehr!

1. Hochwertigere Leckerlis:

In Situationen, in denen es für einen Hund schwieriger ist, aufmerksam zu sein, ist er vielleicht nicht bereit, für seine üblichen Trockenfutter-Stückchen oder Belohnungshappen aus dem Zoofachhandel zu “arbeiten”. Viele Hunde sind uns da gar nicht so unähnlich: Stellen Sie sich vor, sie machen für eine relativ geringe Bezahlung relativ leichte Arbeit. Obwohl die Bezahlung nicht die beste ist, sind sie bereit, dafür zu arbeiten: Schließlich ist ihre Arbeit stressfrei und gemütlich. Wenn ihr Chef nun aber das Arbeitsvolumen oder den Stressfaktor steigert, erreichen Sie irgendwann den Punkt, an dem sie entweder eine Gehaltserhöhung verlangen oder den Job wechseln: Für die bisherige geringe Bezahlung sind Sie nicht bereit, sich übermäßig anzustrengen.

Genauso geht es unseren Hunden. Zuhause, in gewohnter Umgebung, ist das Training einfach und unser Partner mit der kalten Schnauze arbeitet bereitwillig und gern für gewöhnliches Trockenfutter.

Außerhalb der gewohnten Umgebung hingegen ist der Stress größer; es gibt unzählige Gerüche, Geräusche, fremde Menschen und Hunde. Da ist es Zeit für eine Gehaltserhöhung!

Was ist nun ein hochwertigeres Leckerli? Das bestimmt ganz allein ihr Hund, denn Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Grundsätzlich ist ein hochwertiges Leckerli alles, was besser schmeckt als die gewöhnliche, gewohnte Belohnung. Schnipseln Sie die Leckerbissen in möglichst kleine Stücke; ein weiterer Tipp: nehmen Sie eine Mischung davon mit auf den Spaziergang und überraschen Sie ihren Hund! Nicht zu wissen, welche Belohnung als nächstes kommt, stärkt die Motivation!

Was sind die Top-10-Belohnungen Ihres Hundes? Da heißt es kreativ sein und ausprobieren! 

Hier ein paar von Phoebes Lieblingssnacks, zur Anregung: getrocknetes Lamm, getrocknetes Huhn (Loy’s verkauft in Wien z.B. hochwertige Trockenfleisch-Belohnungshäppchen ohne künstliche Zusatzstoffe), Trockenfisch (Vorsicht: riecht stark!), Gouda, Feta, Banane, Nektarine, Kürbis (roh), Leberpastete für Hunde, Lachscreme für Hunde (gibt’s beides im Zoofachhandel in der Tube).

2. Spielzeug:

Für Hunde, die gern spielen, gibt es unzählige Belohnungsmöglichkeiten: Ein Ballspiel, ein Zieh-Spielzeug für eine Runde “Tug of War”, eine Frisbee, ein Stöckchen, ein Ast mit Blättern, ein Tuch, das hund zerfetzen darf …

3. Der Lieblingscue (z.B. “Spin!”): 

Dieser Cue! Ein Hund, der sich gern im Kreis dreht, weil das Spaß macht und Lob und Lachen erntet, wird in manchen Situationen diese Aufforderung zum Drehen einem Leckerli vorziehen.

Fero, unser Cesky Fousek, der leider im Alter von 15 Jahren verstorben ist, würde hier ganz eindeutig sagen, wenn ich ihn fragen würde: “Bring!” Er apportiert nämlich für sein Leben gern. Und Nayeli, die würde ihm da sofort beipflichten. 

4. Rauf-mit-Mir!

Viele Welpen lieben es, mit ihrem Menschen zu spielen, indem sie in seine Arme springen, auf ihn klettern etc. Das darf hund im Alltag eher selten – und gerade darum wird es zu einer tollen Belohnung! Legen Sie sich auf den Boden und lachen Sie gemeinsam mit Ihrem Hund!

5. Die Umgebung

Wenn Sie einen Hund haben, der die Umgebung auf einem Spaziergang spannender findet als Sie, ist Ihnen vielleicht einmal gesagt worden, Sie hätten eine schlechte Beziehung zu Ihrem Hund. Die gute Nachricht: Das stimmt nicht. Sie haben schlicht und einfach einen neugierigen Hund – und das ist gut so! Neugierige Hunde erlauben uns, die Umgebung als Belohnung einzusetzen. Das hat Vorteile: erstens ist die Umgebung immer vorhanden, ohne dass wir sie einstecken müssten, und zweitens lässt sich gerade durch Umgebungs-Belohnungen ein starker Verstärker aufbauen. 

Wie das gehen soll? Ganz einfach. Ich will es euch an einem Beispiel mit Phoebe erklären und euch zeigen, wie wir uns dabei ein psychologisches Prinzip zunutze machen: das Premack-Prinzip. Das Premack-Prinzip besagt, dass unwahrscheinlichere Verhaltensweisen durch wahrscheinlichere verstärkt werden. Klingt kompliziert, ist es aber nicht.

Phoebe liebt es, Tauben zu jagen. Wenn wir über den Praterstern spazieren, weiß sie gar nicht, welchem der vielen Vögel sie zuerst hinterherlaufen soll, weil es dort so viele gibt. 

Das kommt mir sehr gelegen, da wir gerade an Phoebes Fokus auf die Person am anderen Ende der Leine arbeiten. Ich wünsche mir, dass Phoebe sich regelmäßig nach mir umschaut, und in Situationen, in denen sie nicht weiß, was sie machen soll, auch erst einmal mich konsultiert. Daher verstärke ich dieses Verhalten immer, wenn sie es von sich aus anbietet. Zusätzlich möchte ich auch, dass sie auf den Cue “Watch me!” zu mir schaut. Das funktioniert in ruhigen Gegenden schon ganz gut; ich will aber, dass es überall funktioniert. Auch (und gerade!), wenn die Tauben-Versuchung lockt. Es kann schließlich vorkommen, dass Phoebe ohne Leine einen Vogel auf der anderen Straßenseite sieht, während ein Auto kommt. In diesem Fall möchte ich, dass sie nicht blindlings losstürmt, sondern mir auf “Watch me!” ihre Aufmerksamkeit schenkt. Fokussiert sie erst einmal auf mich statt die Taube, hat nicht mehr der Tauben-Jagd-Instinkt, sondern der Verstand die Führung, und Phoebe kann, je nach Cue, zu mir kommen, sich setzen oder hinlegen. So verhindere ich einen Unfall.

Um das zu üben, trainiere ich jedes Mal, wenn wir (natürlich an der lockeren Leine) über den Praterstern spazieren. Wenn wir auf eine Taube zusteuern, würde Phoebe sich nicht für ein Leckerchen interessieren, egal, wie gut es ihr anderswo schmeckt. BEVOR wir die Taubennähe erreichen, andem der Instinkt ganz die Überhand gewinnt, fordere ich sie auf: “Watch me!” Sobald sie mich ansieht, clicke ich und verstärke nicht etwa mit einem Leckerli, sondern mit “Get it!” (Meinen Cue, etwas zu jagen, ganz gleich ob einen Ball oder eine Taube.) Phoebe darf nun ein paar Meter hinter der hochfliegenden Taube herlaufen; dann verliert sie sowieso das Interesse, da der Abstand wieder zu groß geworden ist. Ich laufe mit – weil ich am anderen Ende der Leine hänge.

Meine Belohnung in diesem Fall war also nicht ein Leckerli, sondern eine Kombination aus “Lieblingscue” und Umgebung. 

Mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken bedeutet für Phoebe somit nicht, dass sie eine spannende Aktivität aufgeben muss, sondern es bedeutet, dass sie einer spannenden Aktivität nachgehen darf: dem Tauben-Jagen. 

Das Premack-Prinzip führt nun dazu, dass das wahrscheinlichere Verhalten (Tauben jagen) das davor kommende unwahrscheinlichere (Fokus auf den Menschen am anderen Ende der Leine) verstärkt: Die Fokus-Übung wird positiv konnotiert, da Phoebe sie mit dem Taubenjagen in Verbindung bringt. Je öfter ich “Watch me!” auf diese Art verstärke, desto lieber wird sie diesen Cue ausführen. 

Nicht jeder Hund jagt Tauben. Genauso vielfältig wie die Umgebung sind die Belohnungsmöglichkeiten, die sie bietet. Fragen Sie Ihren Hund, womit Sie ihn in einer bestimmten Situation am besten belohnen können! 

Ein paar Vorschläge, die bei Phoebe gut ankommen: 

einen Menschen begrüßen, an einer interessanten Stelle schnüffeln, einen am Boden liegenden Plastikbecher aufheben, mit einem Hund spielen, Tauben jagen etc.

Und Snoopy möchte aus seinem Repertoire beisteuern: von der Leine gelassen werden; ein Maisfeld erkunden dürfen.

Nayeli würde an  dieser Stelle einwenden, dass die beste Umwelt-Belohnung sei, ins Wasser zu dürfen. 

Und Bruno und Luna, die Dackel- bzw. Beagle-Mischlinge meiner Großmutter, würden einwenden: Wasser? Langweilig. Mäuse jagen und Löcher graben, DAS ist die beste Umweltbelohnung.

– Es kommt also ganz auf den Hund an. Fragen Sie Ihren!

6. Ruhe und Rückzug.

Für manche Hunde – oft Hunde mit Vorgeschichte, zum Beispiel Hunde aus dem Tierheim – ist die stärkste Belohnung in manchen Situationen die Möglichkeit, sich zurückzuziehen oder in Ruhe gelassen zu werden, nicht mehr arbeiten zu müssen. Für diese Hunde kann Ruhe und Rückzugsmöglichkeit als Verstärkung benutzt werden. So wird dank Premack nach und nach auch das, was davor kommt (Interaktion mit Menschen oder Umwelt) positiv konnotiert.

Achtung: Niemals sollte ein Hund gegen seinen Willen gezwungen werden, mit der Umwelt zu interagieren oder seinen Rückzug zu verlassen!

Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt, wenn es ums Belohnen geht. Ganz sicher fallen Ihnen und Ihrem bellenden Gefährten noch mehr Verstärkungsmöglichkeiten ein. Das Training kann beginnen!